Heute war nach langer Abwesenheit wieder mal Gesprächstermin bei der Therapeutin. Irgendwann hatten wir uns auf einen Vormittagstermin geeinigt, im Einklang mit meiner Arbeitszeit. Klappt bisher ganz gut, mal für zwei Stunden aus dem Hamsterrad zu entschwinden.

Die Therapeutin hat ihre Praxis im Süden der Stadt, die Fahrt dorthin kann man über einige Routen machen, ich nehme, wenn ich früher im Büro bin, den 82er Bus. Der Frühtermin hat den Nachteil, daß ab Stadtmitte alles mitfährt, was um 9 beim Arbeitsamt sein muß, Sozialfernsehen von seiner tragischen Seite. Einigen sehe ich es nicht an, daß sie aufs Amt müssen, den meisten aber schon und ich frage mich dann im allgemeinen nicht mehr, warum sie dorthin bestellt werden.

Heute morgen war erstaunlich wenig los auf meiner Fahrt in den Dresdner Süden. Ein paar Omas, ein paar verspätete Schüler, wenige Amtsbesucher. Schräg gegenüber sitzt ein junger Kerl, die Haare kurzgeschoren, einen „Oi!“-Aufnäher auf dem linken Ärmel der Ballonjacke, ein paar Sticker am Kragen, aufgekrempelte Jeans, die obligatorischen Springerstiefel. Alles an ihm schreit seine Gesinnung, das sind Typen, denen ich am liebsten aus dem Weg gehe. Irgendwie wird mir beim Beobachten klar, wo er hinfährt, aber ich versuche noch eine Weile, ihm ein anderes Fahrtziel zu wünschen.

Er steht auf, schnappt seinen Rucksack, geht zur Tür. Die Blase des anderen Ziels platzt. Im Weggehen dreht er mir den rechten Arm zu, auf der Jacke einen Aufnäher „Skinheads gegen Rassismus“. Ich bin mir nicht sicher, ob ich in schallendes Gelächter ausbrechen soll. Der langhaarige Typ, der vor mir steht, sieht meinen Blick, guckt, sieht mich wieder an und grinst.

Beide verlassen den Bus an der Haltestelle beim Arbeitsamt.

Noch ein Abschied

Es scheint wohl so, als ob sich das Thema Großeltern in diesem Jahr auf einen Schlag „erledigt“. Nach monatelangem Hin und Her, Krankenhausaufenthalten zur Ursachensuche, Diagnose Darmkrebs im Endstadium mit entsprechenden Operationen, schwerer Demenz, Metastasen und, als ob das nicht alles noch nicht genug wäre, künstlicher Zwangsernährung, ist die andere Oma heute am späten Nachmittag eingeschlafen.

Für sie war es sicher eine Erleichterung; als ich sie vor anderthalb Wochen zuletzt im Krankenhaus besucht habe, war sie mehr Haut und Knochen als Mensch. Sie wollte nicht mehr, sie wußte, daß ihr Hospizaufenthalt bevorstand, weil es mein Großvater – selbst pflegebedürftig – und mein Onkel, von dem sie so große Stücke hielt, nicht auf die Reihe bekamen, sich selbst um sie zu kümmern.

Ich muß morgen mal hören, wie es meiner Mutter geht. Vorhin klang sie sehr gefaßt am Telefon. Der ganze Streit in den letzten Wochen um die Pflege und Betreuung meiner Großeltern hat vermutlich mehr an ihrem Nervenkostüm gezerrt als sie bereit ist zuzugeben.

Zwei Sätze, die ich aus den Therapiesitzungen der Reha mitgenommen habe und die mich noch ein wenig länger beschäftigen werden: „Wir suchen uns immer wieder die gleichen Partner mit denselben schlechten Eigenschaften aus.“ und „Männer gehen nur in den seltensten Fällen zum Psychologen; entweder sie machen „Arbeitsplatzkonfliktbewältigung“ oder sie trinken als Ausdruck ihrer ‚Problembewältigung‘.“ Es wird für mich noch ein hartes Stück Arbeit an mir selbst werden.

Mischmasch

Ich probier jetzt mal dieses Low-Carb-Dings. Fünf Kilo weniger während der Reha waren ja ein feiner Anreiz, aber da geht noch was. Trotz Diätfutter in Heiligendamm, das Essen im allgemeinen und abends im besonderen (Brot, Brot und zur Abwechslung mal – Brot) war echt nicht der Rede und Wiedergabe wert. Und endlich gibts richtiges und vor allem frisches Gemüse und Salat und so. Hach.

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Arbeit macht keinen Spaß mehr. Also nicht in dieser Firma mehr. Seit knapp einem Jahr keine Entscheidung, was aus unserem Geschäftsbereich wird, wer das übernimmt, ob man es vielleicht doch behält (wirft ja genügend Marge immer noch ab), Entscheidungen werden immer wieder vertagt. Leider kann ich nichts anderes als diesen Computerkram mit den drei Buchstaben, so berufstechnisch. Ich würde gern eines meiner Hobbies zum Beruf machen, aber es fehlt Wissen und Können an vielen Ecken. Ideen, anyone? Ich hab Zeit und keine Not, mir etwas Neues suchen zu müssen. Ich fühle mich schon lange nicht mehr so gut aufgehoben dort wie vor über fünf Jahren, als ich in dem Laden angefangen habe zu arbeiten.

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Die großelterliche Seite mütterlicherseits ist schwerkrank. Großvater muß seit März dreimal pro Woche zur Dialyse, bei der Großmutter hat man nach knapp drei Monaten Krankenhausaufenthalt Darmkrebs, Metastasen und Demenz diagnostiziert. Sie war letzte Woche für drei Tage zu Hause, bevor sie unterzuckert und halb ausgetrocknet wieder in die Klinik kam. Sie weigert sich zu essen und zu trinken, ist hochgradig aggressiv und hat massiv abgebaut. Mein Onkel, ausgestattet mit einer Vorsorgevollmacht für die beiden Alten, wedelt mit dem Ding, spielt sich in der Klinik auf wie Graf Koks und droht der Klinik mit rechtlichen Schritten, wenn sie anderen als ihm Auskunft über den Gesundheitszustand meiner Großmutter geben. „Anderen“ schließt meine Mutter und ihre Schwester mit ein. Die Unterstützung im Alltag, die er den beiden Alten zukommen lassen soll, die unterbleibt aber geflissentlich. Die Eltern sind stinksauer, die beiden Alten nehmen ihren Sohn in Schutz und lassen auf ihn nichts kommen. Mama hat sich entschieden, es so zu belassen, wie es momentan ist, mehr als ihre Unterstützung anbieten kann sie nicht. Ihre Eltern haben immer wieder abglehnt. Ich weiß, das Ganze nagt an ihr, aber sie hat keine Lust und keine Nerven, sich damit auch noch gerichtlich herumzuschlagen, was ich von meiner Seite aus voll und ganz unterstütze. Ich habe dieses Kinderkacke um Berechtigungen und Erlaubnisse von erwachsenen Menschen so satt.

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Die Welt ist wieder ein Stück kleiner geworden. Hägar krabbelt, zieht sich an Möbeln und Beinen in die Höhe und versucht an den Händen die ersten zwei..drei wackeligen Schritte. Er plappert fröhlich vor sich hin, entdeckt so langsam Sprache und kurze Worte, und er versteht, was er darf und was nicht. „Katze“ heißt übrigens „Da!“, er war die Dame des Hauses gestern begutachten. Die Dame war sehr skeptisch, was das wohl für ein lautes, kleines Ding ist, das da mit den Fingern auf sie zeigt.

Ich vermisse die Mailerei und das SMS-Geschicke schon seit Wochen, aber was will man (frau) machen. Ich vermisse auch den Spaß, den wir hatten, die Fototouren, das Wandern, ernsthafte und völlig alberne Gespräche.

Ich vermisse nicht das Gefühl, ausgenutzt zu werden, weil ich mit den Pillen eh nicht wirklich zurechnungsfähig war. Trotz langer Überlegungsphasen hatte ich immer irgendwann das Gefühl, Gedanken nicht zu Ende spinnen zu können, rational zu denken. Das Interesse an mir kam nämlich genau zu dem Zeitpunkt wieder auf, als ich hier schrieb, daß es mir mit den „Drogen“ – oh Wunder! – besser gehen würde. Ich vermisse auch nicht das Herumeiern um ein bestimmtes Thema, das Vermeiden von Streitgesprächen zu einem bestimmten Thema und auch nicht, der Abladeplatz für seinen Seelenkram gewesen zu sein. Ich wäre lieber Freundin, Partnerin, Geliebte gewesen als seine Beraterin und jemand, der ihm die Antworten auf seine Fragen und Denkereien gibt, die er hören wollte.

Er hat sich fein aus der Affäre gezogen als er behauptet hat, ich hätte ja die Entscheidung getroffen. Als ich seine Hilfe brauchte, war er nicht für mich da, im Gegenteil, er hat sich wieder (!) auf anderen „Weiden“ umgesehen. Ich brauche niemanden, der sich nicht sicher ist, sich nicht entscheiden kann, sich nicht festlegen will und der vor allem eigentlich gemeinsame Entscheidungen über meinen Kopf hinweg fällt. Seine Lebensplanung ist inzwischen so festgezurrt, da geht kein Weg mehr dran vorbei.

Es hätte schön werden können, aber es sollte wohl doch nicht so sein. Es wird für mich wieder ein Stück mehr schwerer, in Zukunft wieder jemandem zu vertrauen.

Großkampftag, Waschtag. Heute morgen um halb 9 klingelt mich Hermes, der Götterbote, aus dem Halbschlaf. Dachte, der kommt später. Waschen, was das Zeug hält und die Wäscheständer zur Verfügung haben.

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Die Schwägerin hat’s hinbekommen – um den Kopf sehe ich wieder aus wie ein Mensch und nicht wie Mutti. Ich frage mich wirklich, wie es manche Friseure schaffen, ihren Job nicht machen zu können.

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Heute noch Kuchen backen. Pflaumenkuchen. Mit Streuseln obendrauf… Soll ich ein Blech machen und ihr helft mir aufessen? 😉

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11.243 ungelesene Feeds. „Mark all as read“.

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Die Stromfresser haben die Abrechnung geschickt, 148 EUR Guthaben und weniger Abschlag zahlen. Wenigstens eine gute Nachricht in der Post.

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Wichtige Post geschrieben, vorgestern und heute. Und Reflektion muß ich noch schreiben, sonst vergißt man ja die wichtigen Dinge wieder.

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Mir graut jetzt schon vor dem riesigen Bügelberg.

Home, sweet home

So, erst einmal den Staub von der Tastatur pusten. Sechs Wochen hat hier keiner was gemacht. Und die Heinzelmännchen haben meinen Kühlschrank leergefressen und nichts aufgefüllt. Frechheit. Euch koche ich nochmal ne Suppe.

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Das fühlt sich komisch an, wieder daheim zu sein. Keine geregelten Essenszeiten mehr (Göttin sei Dank!), aber auch keine Abendunterhaltungen. Es hat aber auch was Gutes; ich konnte zuletzt die Reden über Krankheiten nicht mehr wirklich hören. Aber die Mädels aus der Clique, die sich da in den sechs Wochen gefunden haben, die vermisse ich ganz arg. Die letzten drei Tage waren voller Abschiede und das zerrt an den Nerven.

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Ich vermisse die See und die Ruhe, die um das Klinikgelände geherrscht hat. Gut, die Strände waren in den vergangenen Wochen voller Urlauber, aber hier rennen gleich wieder die Blagen ums Haus. Aber den Hustinetten-Bär, der in der vergangenen Woche das Zimmer unter mir bezogen hatte, den vermisse ich bestimmt nicht. Ich hatte manchmal nachts Ängste, daß der einfach so verreckt. Sehr seltsam.

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Zugfahren ist echt anstrengend.

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Die Koffer mit dem restlichen Gerassel kommen am Freitag. Morgen erstmal ausschlafen, einkaufen, mittags kommt mein Bruder mit Freundin und – tataaa – Hägar zu Besuch. Wir feiern am Wochenende Mamas runden Geburtstag nach und das geht nicht ohne die Kinder. 🙂

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Meine Badewanne ist heute abend mein Königreich. Sechs Wochen nur duschen ist ätzend. Heute abend wird entspannt – mit Wein, Kerzchen und Jane Austen.

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Apropos Lesen: Ich habe acht Bücher gelesen in diesen sechs Wochen. Tom Clancy „Befehl von oben“, Rebecca Gablé „Das Lächeln der Fortuna“, Sabine Eberts drei „Hebammen“-Romane, Nora Roberts „Im Licht des Vergessens“, Jane Austen „Stolz und Vorurteil“ und „Verstand und Gefühl“ (letzteres besser bekannt als „Sinn und Sinnlichkeit“). Seit ich die bunten Pillen nicht mehr nehme, macht mir das Lesen auch wieder viel mehr Spaß und ich kann mich auch auf so komplizierte Sachen wie Jane Austen einlassen. Das ging vor ca. drei Monaten gar nicht; der Schreibstil ist, sagen wir mal, ungewöhnlich für die heutige Zeit.

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Was esse ich bloß heute abend? Verdammt…

Heiligendammer Bergfest

Gut, war schon am Mittwoch, aber besser spät als nie. Sechs Wochen Reha stehen anfangs wie ein riesiger Berg vor einem, inzwischen kennt man hier einige Leute, freundet sich an, unternimmt etwas miteinander, verabschiedet sich wieder. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen hier. Manchmal gut, viel zu oft blöd.

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Hab ich schon erwähnt, daß es hier außer der Hotelanlage, formerly known as Kempinski, ein paar fast baufälligen Strandvillen, der Klinik und einigen Einfamilienhäusern so gar nix gibt? Dafür einen Besitzer, der am liebsten alle anderen aussperren würde, um das Dorf einen Zaun ziehen und nur ihm genehme Klientel mit fetter Kohle reinlassen würde. Das Dorf hier gehört nämlich einer einzigen Person, sehr zum Leidwesen der diesen Zustand ertragen müssenden Einwohner und Besucher. Die Welt ist schlecht. So.

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Drei Wochen hier und ich sehe aus wie nach zwei Wochen Karibikurlaub. Also hauttechnisch. So braun war ich in meinem ganzen Leben noch nicht.

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Ich bin endlich die Pillen mit den bunten Vögelchen los. Eigentlich sollte ich sie noch bis Anfang August einwerfen, aber ich wollte gern hier mit dem Absetzen anfangen, um nicht vom Alltag erschlagen zu werden, wenn ich wieder zu Hause bin. Meine Probleme lösen sie sowieso nicht, hier kann ich damit anfangen, die Lösungen anzugehen. Es geht mir ganz gut nach einer Woche drogenfrei. Keine neuen Heulkrämpfe und vor allem keine sinnlosen Grübeleien. Ging besser, als ich dachte.

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Manchmal hab ich schon Heimweh, was anfangs ganz schlimm war, sich jetzt aber allmählich bessert. Ich hätte gern Besuch hier bekommen, aber das wird wohl nichts mehr. Die andere Seite setzt andere Prioritäten als ich und merkt nicht mal, wie verletzend sie damit geworden ist. Ich habe keine Lust mehr, mich immer hinten anzustellen und mich zurückzunehmen. Auch ein Lernprozeß, aber für mich ein guter, denn ich fühle mich nicht schäbig dabei, meine Ansprüche geltend zu machen. Partnerschaft/ Beziehung ist keine einseitige Sache, ich hatte das Gefühl zuletzt, immer nur die Gebende zu sein und nichts zurückzubekommen.

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Sommer, Sonne, Ostseestrand. Heute noch Meerwasserbad, anschließend Qi Gong, „Feierabend“ und dann an den Strand. Die See hat inzwischen 20 Grad, wesentlich angenehmer als die 14, bei denen ich zum ersten Mal im Wasser war. Wir Ostler kennen da ja nix. Kann so bleiben, das Wetter hier. Zu Hause regnet’s, glaub ich. 🙂

Ich fand diesen „Erlöst!“-Spruch über Traueranzeigen in der Zeitung eigentlich so lange bescheuert, bis ich miterlebt habe, wie schwer ein Mensch das nahende Ende haben kann. Aber ich weiß, daß es ihr jetzt besser geht. Ich seh sie schon sitzen, beim Kaffee mit dem Großvater am Küchentisch und uns allen beim Weiterleben zuschauen.

Nach knapp dreieinhalb Jahren Pflege zu Hause ist die Lieblingsoma gestern abend eingeschlafen.

Gutes, weniger gutes

Hm. Gestern zwischen guten und schlechten Nachrichten die Statistik vergessen: 35 / 20 / 52

Gutes: Der Termin für den Laminatknilch ist der 20. April. Als er mir anfangs ernsthaft den 25. März vorschlug, habe ich ihn ausgelacht. Nach dem dritten Hinweis auf eine bewohnte Wohnung und dem Zusatz im Auftrag, daß von denen die Wohnung zu beräumen ist, gab er kleinlaut nach. Bleiben mir also noch knapp vier Wochen für Kisten und Kleidersäcke.

Schlechtes: Meine Mama hat mich gestern nachmittag aufgelöst angerufen, von wegen nicht erreicht und so. Meine Großtante ist am Sonntag abend verstorben, mit 88 friedlich in ihrem Bett eingeschlafen, nachdem sie am Tag einen etwas verwirrten Eindruck auf ihre Kinder gemacht hatte. So wünscht man es sich für einen Menschen, der ein erfülltes Leben hatte. Meine Mum und ich hatten nachmittags beim Kaffee noch von ihr gesprochen…