Heute war nach langer Abwesenheit wieder mal Gesprächstermin bei der Therapeutin. Irgendwann hatten wir uns auf einen Vormittagstermin geeinigt, im Einklang mit meiner Arbeitszeit. Klappt bisher ganz gut, mal für zwei Stunden aus dem Hamsterrad zu entschwinden.

Die Therapeutin hat ihre Praxis im Süden der Stadt, die Fahrt dorthin kann man über einige Routen machen, ich nehme, wenn ich früher im Büro bin, den 82er Bus. Der Frühtermin hat den Nachteil, daß ab Stadtmitte alles mitfährt, was um 9 beim Arbeitsamt sein muß, Sozialfernsehen von seiner tragischen Seite. Einigen sehe ich es nicht an, daß sie aufs Amt müssen, den meisten aber schon und ich frage mich dann im allgemeinen nicht mehr, warum sie dorthin bestellt werden.

Heute morgen war erstaunlich wenig los auf meiner Fahrt in den Dresdner Süden. Ein paar Omas, ein paar verspätete Schüler, wenige Amtsbesucher. Schräg gegenüber sitzt ein junger Kerl, die Haare kurzgeschoren, einen „Oi!“-Aufnäher auf dem linken Ärmel der Ballonjacke, ein paar Sticker am Kragen, aufgekrempelte Jeans, die obligatorischen Springerstiefel. Alles an ihm schreit seine Gesinnung, das sind Typen, denen ich am liebsten aus dem Weg gehe. Irgendwie wird mir beim Beobachten klar, wo er hinfährt, aber ich versuche noch eine Weile, ihm ein anderes Fahrtziel zu wünschen.

Er steht auf, schnappt seinen Rucksack, geht zur Tür. Die Blase des anderen Ziels platzt. Im Weggehen dreht er mir den rechten Arm zu, auf der Jacke einen Aufnäher „Skinheads gegen Rassismus“. Ich bin mir nicht sicher, ob ich in schallendes Gelächter ausbrechen soll. Der langhaarige Typ, der vor mir steht, sieht meinen Blick, guckt, sieht mich wieder an und grinst.

Beide verlassen den Bus an der Haltestelle beim Arbeitsamt.

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