Horrortrip

Es ist ja nicht immer einfach, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, aber meistens tue ich es gern. Ich kann lesen, abhängen, Musik hören, ohne vom Verkehrsstreß gefressen zu werden. Die morgendliche Bande Schulkinder oder dauermeckernde Sitznachbarn sind nervig, aber glücklicherweise eher die Ausnahme.

Seit Ewigkeiten versuche ich, einen möglichst einsamen Platz im Bus zu ergattern. Meist gelingt mir das, indem ich beim Einsteigen gleich auf die erste Reihe abbiege und mein Buch auspacke. Ich möchte nicht gestört werden. So auch heute abend. Beim Einsteigen begrüße ich immer höflich den Busfahrer (gut fürs Karma), der mir entweder antwortet, mich blöd anguckt oder einfach nix sagt. Ich hocke auf der ersten Sitzreihe, die Kuhtasche neben mir und lese die ersten Seiten von „Schneller als der Tod“. Zwei Haltestellen später steigt ein Mann ein, der mir schon aus den Augenwinkeln beim Einfahren in die Haltestelle aufgefallen ist – schlampig gekleidet, kurz rasierte Haare, glasiger Blick. Ausgerechnet dieser Typ setzt sich neben mich. Nanu, denke ich noch, der Bus ist halb leer, wie setzt der sich… als mir auch schon eine Wolke aus mächtig viel Alkohol und kaltem Zigarettenrauch entgegenschlägt. Pfui bääh!!

Der Bus ist noch nicht mal aus der Haltestelle raus, als er seinen rechten Arm auf der Lehne hinter mir platziert. „Können Sie das bitte lassen?“, aber ich ahne schon, dass der Rest nicht angenehm werden wird. Nach drei Haltestellen merke ich zum ersten Mal seine Hand auf meinem Rücken. „Lass ja die Finger bei Dir“, er zuckt zurück, ich werde deutlicher. Ich versuche zu lesen, aber so richtig konzentrieren kann ich mich nicht. Zwei Minuten später dasselbe Spiel. „Ich sagte, nimm die Finger weg!“ Ich klappe das Buch zu und überlege, ob ich ihm beim nächsten Versuch eine runterhauen soll. Dabei fällt mir wieder die Geschichte meines Kollegen ein, der sich über Rowdys in der Tram aufgeregt hatte und dafür eine aufgeplatzte Lippe kassiert hat. Der Typ neben mir sieht aus, als ob er entweder gleich vom Sitz kippt oder zurückschlägt. Auf letzteres habe ich keine Lust. Halber Weg nach Hause und er versucht mich zu umarmen. Ich werde richtig laut. „Verdammt, nimm Deine Pfoten weg, habe ich gesagt. Kapierst Du’s nicht?“ Keine Reaktion, er glotzt mich debil an. Endlich guckt auch der Busfahrer, wenn auch etwas verwundert zu mir rüber. „Was ist?“, brülle ich den Kerl an, „Soll ich Dir das nochmal sagen? Willst Du eine fangen? Und jetzt? Kriegst Du das Maul überhaupt auf?“ Der Busfahrer guckt, der Typ blinzelt blöde, keiner sagt was, keiner tut was. Nach dieser Haltestelle stehe ich auf und will den Platz wechseln. Der Typ neben mir bewegt sich kein Stück, ich muss seine Füße vom Podest stoßen. „Mann, nimm Deine Flossen weg!“, brülle ich ihn nochmal an und gehe nach hinten in den Bus, ganz hinten, mit dem Rücken zum Rest. Der Typ bleibt sitzen.

Meine Befürchtung, er steigt an derselben Haltestelle aus, bestätigt sich glücklicherweise nicht, er verläßt den Bus vier Stationen vor meiner. Trotzdem gehe ich nach vorne, um dem Busfahrer wenigstens zu sagen, er hätte ja mal fragen können, ob alles in Ordnung sei. Im Spiegel sieht er mich kommen, warten Sie mal kurz an der Haltestelle. Was hat der eigentlich gemacht, will der Busfahrer wissen. Mich belästigt, angegrabscht. Naja, das was nicht stimme, hat er gemerkt, als ich laut geworden sei und dann aufgestanden bin. Er dachte, der Typ sei mein Mann. Wtf, denke ich noch so, und erkläre ihm, wo ich eingestiegen bin und wo der Typ. Er sagt, er hätte den „Marker“ gesetzt bei der Videoaufzeichnung und ich danke der Göttin, dass gerade so ein Bus auf der Route unterwegs war (kein Standard) und dass der Fahrer wenigstens so clever gewesen ist, dieses wichtige Knöpfchen gedrückt zu haben. Er gibt mir eine Servicerufnummer, die Liniennummer und die Uhrzeit, aber das weiß ich ja eh alles. Er hat an der Endhaltestelle einen Funkwagen stehen, dessen Besatzung informiert er und die geben die Videoaufzeichnung weiter. Man weiss ja nie und vielleicht wird der ja auch gesucht, sagt er. Meinen Namen und meine Telefonnummer bekommt er, ich weiß, dass die DVB bei sowas sehr auf ihre Kunden achtet.

„Beim nächsten Mal“, sagt er, „geben Sie gleich Bescheid. Dann kann ich nämlich und so.“ „Naja, ich kann schlecht verlangen, dass Sie ihn aus dem Bus werfen, wenn er ne gültige Fahrkarte hat“, und mir fällt die blöde Diskussion mit einem anderen Fahrer vor ein paar Jahren ein, als er trotz Beschwerden der Fahrgäste einen wirklich übel nach Fäkalien stinkenden Penner die komplette Route befördert hat und danach eine Diskussion über Menschenrechte vom Zaun brach.

„Doch“, meint er lachend, „in dem Fall kann ich das schon und mach das auch.“ „Fürs nächste Mal weiß ich das dann ja, aber ich hoffe, dass es ’nächstes Mal‘ nicht wieder gibt.“

Jetzt brauch ich erstmal was zum Abreagieren. Über eine Anzeige denke ich noch nach, aber was wird das bringen? Die Verkehrsbetriebe sind, was Belästigungen angeht, inzwischen nicht mehr so nachgiebig, seit es letztes Jahr diese Stalkingvorfälle mit Schülern und einem älteren Mann mit Videokameras in der Tram gegeben hat.

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