Donnerstag

Trauerfeier und Urnenbeisetzung gestern für Großmutter 2 in diesem Jahr. Es soll der heißeste Tag des Jahres werden und wir müssen in Vollschwarz nach draußen. Super Idee. Mir ist nach kurzen Hosen, leichtem Oberteil und Sandalen, damit ich die rotlackierten Zehennägel an die Sonne lassen kann. Aber nach meinem Bedürfnis geht es heute nicht.

Mein Bruder und meine Mutter sammeln mich auf, nachdem sie das Grabgesteck abgeholt haben. Es gibt Mittagessen, danach wirft sich der Rest in schwarze Hülle. Es gibt ein paar Diskussionen mit meiner Mutter über vollschwarz oder gestreift, ich setze vollschwarz durch. Sie wäre die einzige aus unserer Runde gewesen, die sich heller kleidet, ausgerechnet zur Beisetzung ihrer eigenen Mutter.

In gräßlichster Mittagshitze treffen wir vor dem Friedhof ein. Wir treffen auf Leute, die wir nicht kennen und solche, die man nur zu solchen Anlässen trifft. In der Feierhalle ist es kühler, glücklicherweise, es reicht trotzdem, um sich nicht wohl zu fühlen. Man merkt auch die Spannung, die in der Familie herrscht, die Geschwister gehen sich aus dem Weg, der Streit ist nicht annähernd beigelegt.

Die Feier beginnt, die Rednerin verhaspelt sich schon bei den ersten Sätzen. Hägar schäkert mit der Rednerin, die sich aus dem Konzept bringen läßt, meine Tante vor mir schrickt zusammen. Der Text ist voller Heuchelei über Familie und Werte, ich frage mich, wer diesen Unsinn in deren Federn diktiert hat und ahne bereits die Antwort. Über 60 Jahre waren sie im letzten Jahr verheiratet, das ist ein Leben, aber war zuletzt geprägt von Starrsinn und getrennten Zimmern. Mein Cousin neben mir schnieft vor sich hin.

Die Urne wird nach draußen getragen, im Schatten der alten Bäume geht es zur Grabstätte, die sie vor über zwei Jahren bereits gekauft haben. „Ich will zu meinem Sohn“, war einer der Sätze von ihr, an den ich mich erinnere, wenn ich an ihr Sterben denken werde. Seit über zwei Jahren liegt seine Urne bereits an dieser Stelle. Die Enkel haben die Gestecke mitgenommen, um sie am Grab wieder abzulegen. Die Urne wird abgesenkt, man geht vorbei, wirft Blüten ins Grab. Anschließend bilden sich Grüppchen, die ersten, die nicht zum engeren Familienkreis gehören, gehen bereits wieder. Der Rest trifft sich zum Kaffee in einer nahegelegenen Gaststätte.

Die Geschwister setzen sich auf Distanz, meine Mutter und ihre Schwester mit Familien am oberen Ende, ihr Bruder mit seiner Freundin am unteren Ende der Tafel. Hägar wandert irgendwann zu meiner Tante und unterhält den oberen Teil. Das neueste ist „teuflisches Grinsen“, wer weiß mit wem er das geübt hat. Es bringt die Runde jedenfalls des öfteren zum Lachen. Eine Stunde, dann löst sich die Gruppe auf. Ich bin, glaube ich, die einzige, die meinen Onkel begrüßt hat und wieder verabschiedet hat, meine Mutter und meine Tante haben ihn ignoriert. Mein Großvater nimmt meinen Vater beiseite, sie setzen sich noch einmal ans Ende der Tafel. Ich sehe die beiden da hinten, bin fast auf dem Weg nach draußen, als mein Vater nach einer knappen Minute aufsteht und sehr zügig raus geht. Die Mimik und den Schritt, das hat er nur, wenn er wirklich wütend ist, was selten genug vorkommt. Der Rest der Aufbruchbereiten folgt.

Draußen steht mein Vater abseits, sieht mich, erzählt mir, was gesprochen wurde, ohne daß ich Fragen gestellt habe, schließlich weiß ich, worum es geht. Sie sollen „den Jungen endlich akzeptieren, dann wäre alles wie früher“. Die Antwort meines Vaters ist entsprechend ausgefallen, sie hat meinem Großvater nicht gefallen. Meine Mutter bekommt das Gespräch mit, mein Großvater kommt, er verabschiedet sich von ihr, sagt, er habe mit „ihrem Mann“ gesprochen. Meine Mutter versucht eine Erklärung, mein Großvater schaltet auf stur, blockt jedes weitere Wort. Gut, dann eben so.

Auf der Rückfahrt gibt mein Vater noch einmal wieder, was zwischen den beiden Männern gesprochen wurde. Er stellt die Frage in den Raum, warum sein Schwiegervater ausgerechnet mit ihm gesprochen hat und nicht mit seinen beiden Töchtern. Wahrscheinlich, weil die Ansage meines Vaters damals vor dem Krankenhaus, als er sich danach „persönlich beleidigt fühlte“, doch mehr als direkt war. Er hat meinen Onkel, Ende Vierzig, als „Rotzjunge“ dafür bezeichnet, daß er dem Krankenhaus untersagt hat, jemand anderem außer ihm Auskunft zu geben über den Gesundheitszustand der Großmutter. „Jemand anderen“ schloß meine Mutter und meine Tante mit ein, ich habe neben meiner Mutter gestanden und die Antwort der diensthabenden Schwester gehört, als sie versucht hat, etwas über den Zustand ihrer eigenen Mutter zu erfahren.

Wieder zurück bei meinen Eltern bekommen meine Zehen zuerst Frischluft; die Schuhe fliegen von den Füßen, Socken aus, barfuß über den gepflasterten Hof, über den ein warmer, aber angenehmer Wind weht. Hägar ist bereits beim Einkaufen eingepennt, er schläft noch immer, ihm ist warm. Mein Vater schleppt eine Plastewanne in den Garten, mit dem 10-Liter-Eimer wird Kinderbadewasser eingefüllt. Als ich umgezogen und erfrischt wiederkomme, planscht Hägar im Wasser, wirft mit Gummienten und hat sichtlich Spaß am Leute nassspritzen. Mein Bruder wirft den Grill an, mein Vater reagiert sich ab, indem er Unkraut aus dem steintrockenen Boden hackt. Wir diskutieren über Ex-Freunde, mein Vater sagt irgendwann nochmal, daß er nicht versteht, was in dem alten Mann, meinem Großvater, vorgeht. Ich verstehe es auch nicht, aber es ist mir zu mühselig geworden, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Er ist stur, altersstur, er wird seine Meinung nicht mehr ändern, er denkt, er hat alles richtig gemacht. Mit 85 sollte man jemanden in diesem Glauben lassen. Die Frage, warum er ausgerechnet mit meinem Vater gesprochen hat, kann nur mein Großvater beantworten und ich bezweifle, daß er darauf eine vernünftige Antwort geben kann oder will.

Hägar futtert mit Genuß die reifen Himbeeren direkt vom Strauch, die gelb-grünen Birnen schmecken allerliebst. Wie gut, daß die Großeltern so einen großen Garten haben, in dem immer was wächst und reift. Der kleine Kerl liebt die Streifzüge durch den Garten auf irgendjemandes Arm.

Irgendwann ist das Fleisch gar, das Radler ist willkommene Abwechslung bei dieser Hitze. Und später fliehen wir vor den bissigen Mücken, als es schon fast dunkel ist. Fast ein normaler Donnerstag eben.

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