Bunte Vögelchen, Selbstversuch

Als ich mich im vergangenen Jahr vom Arzt aus dem Verkehr habe ziehen lassen, dauerte die Auszeit zwar lange, aber ich habe den Quatsch durch Lichttherapie und lange Spaziergänge wieder einigermaßen in den Griff bekommen. Nach meiner Rückkehr ins Büro waren die schlimmsten Stolpersteine beseitigt, und es blieben nur noch vier Wochen bis zum langersehnten Urlaub auf Hawaii. Es ging also.

Ein bißchen graute mir vor dem noch fern liegenden Spätherbst und Winter; ich kenne mich und weiß, daß diese Zeit für mich immer besonders dunkel erscheint und so ihre Probleme mit sich bringt. Dann tauchte der Regensburger auf und es ging mir über Wochen nicht mal so schlecht. Eigentlich ein gutes Zeichen.

Zum Jahreswechsel hin merkte ich schon, daß es mir mieser ging, aus verschiedenen Gründen, auf die ich nicht alle eingehen will. Eine ziemlich unklare berufliche Zukunft, Selbstzweifel, der ganze Mist eben. Im Januar dann die Sorge um die Lieblingsoma, noch ein paar Banksachen obendrauf, zwischenmenschlicher Kram, irgendwann war Schluß. Ich hatte ständig das Gefühl, in einem überfüllten Raum zu stehen, laut zu schreien und völlig ignoriert zu werden. Wenn ich an meinem Schreibtisch saß und lustlos vor mich hinklickte war mir, als würde ich mir selbst kopfschüttelnd über die Schulter sehen. Schlafen ging auch nicht wirklich – ich ging zu normalen Zeiten zu Bett, wachte irgendwann zwischen 2 und 3 wieder auf, lag dann stundenlang wach und war gegen 7, als ich dann aufstehen mußte, wie gerädert. Ich blieb zwei Wochen zu Hause, konnte wenigstens den Bankkram regeln, aber Erholungsschlaf ging gar nicht. Am Samstag vor anderthalb Wochen schlug die Depression dann mit voller Wucht zu. Arbeiten ging nur noch unter größter Aufbietung aller Kräfte, was sich zu Hause in meinen vier Wänden abspielte, will ich lieber nicht näher beschreiben.

Ich gehe seit einem reichlichen Jahr regelmäßig zu Therapiegesprächen, je nach Befinden häufiger oder seltener. Bisher hat es funktioniert, daß ich auf Medikamente verzichten konnte. Ich bin kein Freund von Psychopharmaka, in meinem Kopf spulen sich dann immer Filme von aufgezogen wirkenden, menschlichen Zombies in Anstaltskleidung ab. Den Ausschlag, sich darüber eingehender zu informieren, gab ein Bericht auf VOX. Zweimal bin ich in Buchhandlungen gewesen, zweimal überfordert mit dem Overkill an wissenschaftlicher und pseudowissenschaftlicher Literatur wieder raus. Die für mich wichtigsten Infos habe ich zum nächsten Therapietermin mitgenommen. F33.1G.

Seit Freitag nehme ich das Zeug. Es funktioniert ganz gut, es dauert ca. eine Stunde, bis die Wirkung einsetzt, dann kommt man wirklich gut über den Tag. Zuerst fühlte ich mich wie nach fünf Espresso auf ex, das gute daran ist, daß ich es am Freitag wirklich geschafft habe, kontinuierlich mein Zeug abzuarbeiten. Man schafft es wieder, sich selbst zu disziplinieren und auf Dinge zu konzentrieren, wenn wichtiges ansteht; das ist mir in den vergangenen Wochen nie gelungen, ich habe mich allzu gern von Belanglosigkeiten ablenken lassen. Die Nebenwirkungen halten sich in sehr erträglichen Grenzen, sollen auch wieder verschwinden nach ein-zwei Wochen regelmäßiger Einnahme. Bißchen zittrig manchmal, aber das ist erträglich. Positiv empfinde ich für mich, daß die Pillen die Symptome ziemlich im Zaum halten, man denkt zwar teilweise noch intensiv über dies und jenes nach, wird aber gelassener. Die stundenlangen Heulkrämpfe sind auch weg, ich hoffe, der Nachtschlaf zieht noch nach. Ich wache zwar immer noch von Zeit zu Zeit auf, nur kurz, die stundenlangen Wachphasen sind aber schon weg. Für die meisten Leute, die mich kennen, wirke ich wie immer – locker, aufgeschlossen, gelöst. Gut so.

Es gibt noch ein paar Dinge, die ich regeln muß und die ich entscheiden muß. Braucht Zeit, kommt Zeit. Ich bin froh, daß ich im Moment wieder besser mit mir zurechtkomme als noch vor einer Woche. Um Ausgleich und Ablenkung vom Alltagstrott habe ich mich schon vor drei Wochen gekümmert. Wird schon.

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