Die Dame des Hauses – ca. 1992 bis 13.09.2010

Leicht ist die letzte Entscheidung nicht gefallen, aber auch aus Distanz betrachtet war sie richtig. Sie hatte drei Tage lang vermutlich unglaubliche Schmerzen, sie kniff das Auge zu, kämpfte sich zwar abends immer tapfer auf die Pfoten, wenn ich nach Hause kam, aber sie lehnte sich an die Kissenburg and und schlief nach ihren Streicheleinheiten sofort wieder ein. Sie ging kurze Wege und pieselte in schnell erreichbare Ecken, weil sie vor Schmerzen kaum laufen konnte. Arme Schnuffelnase.

Freitag dann kurzfristig ein Besuch bei der Tierärztin, bei der wir 2 Stunden warten mussten und dann als Letzte in die Sprechstunde kamen. Sie hatte sich vorher schon nur noch ungern untersuchen lassen, dieses Mal ging es nur mit dicken Handschuhen und Decke. Trotzdem war ein Messen des Augendrucks unmöglich, aber die Ärztin sah auch so, dass es nicht gut aussah. Wir haben die Möglichkeiten besprochen; eine Augen-OP hätte sie das Auge gekostet und es war ungewiss, was dahinter zum Vorschein kommen würde. Und das Risiko war ebenso hoch, dass sie nach der OP nicht wieder aufwacht. Die einzig richtige Entscheidung war es, sie zu erlösen, denn besser wäre es nie geworden.

Sie durfte, nach einer Aufbauspritze mit starkem Schmerzmittel, übers Wochenende noch einmal mit nach Hause, zum Verabschieden. Die Spritze ließ sie zwei Tage lang fast übermütig wirken, so daß ich am Montag nicht mehr sicher war, ob die Entscheidung richtig war. Bevor wir am Montag jedoch los sind (mein Papa hat mich zur Tierärztin gefahren), dann doch die Gewissheit: Das wird nicht besser. Sie schlief tief und fest, sie zuckte wieder zurück, als ich ihr über die Schnurrhaare streichen wollte, sie hatte wieder Schmerzen.

Sie ist über 18 Jahre alt geworden, davon war sie fast 16 Jahre bei mir. Jetzt ruht sie, zusammen mit ihrer liebsten Plüschmaus und einem weißen Tuch fürs Polarlicht, an einem sonnigen Fleck im Garten meiner Eltern. Jetzt im Oktober bekommt sie noch einen Fächerahorn als Schattenspender.

Mach’s gut, meine Süße, Du fehlst hier sehr.

Katzencontent

Uns geht’s ganz gut soweit. Die Dame des Hauses hat sich so langsam an die Blindheit gewöhnt, ich irgendwie auch. Muß ja. Sie liegt viel, schläft viel, aber sie geht auch wieder auf den Balkon. Schnuffeln, den Piepmatzen zuhören, an die Blumenpötte stoßen. Manchmal liegt sie mit draußen, döst in der Sonne, läßt sich wärmen. Oder sie trinkt die Regenwasserreste aus den leeren Kästen und Untersetzern.

Manchmal tapert sie scheinbar orientierungslos durch die Wohnung, eckt da mal an, stört sich dort an einem Kabel, maunzt ein bisschen. Entweder kruschelt sie sich dann wieder auf ihrer Liege ein oder wir verbringen einen entspannten Abend auf der Couch. Sie liegt entweder schnurrend auf meinem Bauch rum oder, wenn es mir zu unbequem wird, in der Kissenburg. Ihr Hintern braucht aber Körperkontakt zu mir, sonst geht das nicht.

Nur die Toilettendinge sind extrem geworden. Aber mit den Details verschone ich lieber die Leser. Wir sind in Ordnung, ein eingespieltes Team, die Dame und ich.

Letzte Woche Dienstag waren wir zur abschliessenden Untersuchung bei der Tierärztin, die Dame des Hauses und ich. Der Herzschlag bei der Katzenoma ist nach wie vor unregelmässig, aber das ist kein Grund zur Beunruhigung. Ich muss nur darauf achten, dass sie jeden Morgen ihre Medizin bekommt, glücklicherweise flüssig und keine Tabletten.

Die Blindheit ist einfach altersbedingt, hat die Tierärztin erklärt. Die Dame des Hauses ist nicht nierenkrank, keine Schilddrüsenerkrankung, keine Infektionskrankheiten, die die Blindheit ausgelöst haben könnten. Sie hat nach der Nasenfarbe gefragt (oft weiß, dann nicht so gut; rosa oder rot, dann super fit). Die Dame hat oft eine rosa Nase, also ist alles in Ordnung.

Hier daheim kommen wir ganz gut zurecht. Sie nimmt die Treppe hoch ins Bad, runter geht sie etwas vorsichtiger. Sie verliert manchmal die Orientierung und dreht sich dann maunzend im Kreis, aber mit etwas Zureden und einmal Nase kraulen geht es wieder. Dafür frisst sie ihre Näpfe schön leer, trinkt wieder mehr Wasser und steht nach wie vor auf Catsticks. Nur die Spielzeuge, die lassen sie jetzt völlig kalt. Macht aber auch nix. Ihr geht’s ganz gut, glaube ich.

Sie tappt durch die Wohnung, vorsichtiger als sonst, aber sie läuft. Sie geht die Treppe rauf am Tag, auch wieder runter, vorsichtiger, aber es geht alleine, ohne rufen, ohne animieren. Sie springt sogar auf das Sofa rauf, nur runter ist etwas anstrengender, aber es wird von Mal zu Mal besser. Sie findet ihre Näpfe, frisst, trinkt, alles wie immer. Die Dame des Hauses gewöhnt sich ein. Als wir gestern mittag nach Hause kamen – erster Gang Futternapf, Frustfuttern, Wasser trinken. Heute vormittag musste ich zum ersten Mal allein die Medizin einflößen, sie ließ das widerwillig zu, aber sie hat sie geschluckt, es sich anschließend auf meinem Bauch bequem gemacht, gekuschelt und mich totgeschnurrt.

Heute nachmittag rief die Tierärztin an, der Befund des Bluttests sei da. Keine organischen Schäden, alles soweit in Ordnung. Die Abklärung auf Toxoplasmen, FIV und FIP erfolgt jetzt erst, weil das andere, zusätzliche Untersuchungen sind. Diese Untersuchungen dauern länger, etwa Mitte nächster Woche sagt sie Bescheid. Sie erkundigt sich, wie es Schnecki geht, ich erzähle ihr so die Highlights, sie ist sehr zufrieden. Das die Dame schläft, viel mehr als offenbar sonst, beunruhigt nicht weiter.

Sie liegt neben mir auf der Couch, schnarcht wie immer, eingerollt zu einer Pelzkugel. Wenn sie wach ist, denke ich meist, dass man heute deutlicher sieht als gestern, dass sich ihre Augen trüben. Das Augenlicht bringt es ihr nicht wieder, aber ich habe wohl nichts übersehen und bis jetzt alles richtig gemacht.

Die Dame des Hauses ist blind, und sie wird nie wieder sehen können. Warum, werde ich morgen erfahren, dann ist das Ergebnis des Bluttests da.

Als ich gestern abend spät nach Hause kam, schnuffelte sie auf ihrem Lieblingskissen, sie wurde auch wach, aber sie guckte mich nicht an. Irgendwann nach Mitternacht habe ich sie hochgetragen (wir wohnen Maisonette, damit kommt sie super zurecht), auf meinem Bett hat sie sich erst eingerollt, dann wollte sie wieder runter, aber das klappte nicht wirklich. Sie hat seit Tagen eine „Hüppelhilfe“ am Bett stehen, damit sie nicht springen muss, aber die brauchte sie bisher nie. Sie versuchte es über den Hocker, die Pfote schwebte einen Zentimeter über dem Fußboden, aber sie traute sich nicht nach unten. Nach mehreren Versuchen habe ich sie auf den Boden gesetzt, aber sie lief zielstrebig erst gegen die Tür, dann gegen die Kommode. Erst vor der Tür, dunkler als im Schlafzimmer, fand sie den Weg langsam und vorsichtig zu ihrer Katzentoilette. Zurück wollte sie wieder runter – und „übersah“ die erste Stufe. Eine Stunde später fiel sie aus dem Bett, weil sie die Kanten nicht sah. Gegen 5 rollte sie sich dann ein, für ein paar Stunden Schlaf auf meinem Arm.

Heute vormittag dann Tierärztin, eine neue, denn der ortsansässige ist ein eher grober Typ. Die Ärztin hat sich viel Zeit genommen, alle Möglichkeiten untersucht, mir erklärt, als erstes der Befund der Blindheit, dass die Dame damit ganz gut leben könne, wenn es keine weiteren organischen Ursachen gibt. Das wird der Bluttest zeigen. Die Ärztin war sehr zufrieden mit ihrem Allgemeinzustand als 18-jährige Oma (was 83 Menschenjahre sind, wie ich seit heute weiß). Und ihr Herz schlägt unregelmäßig. Nicht richtig abgesetzt, meinten die beiden Ärztinnen, „2 von 6“. Das kann man medikamentös regulieren, dafür muss sie so eine komische Lösung jeden Morgen bekommen.

Die Ärztin hat sie Schnecki genannt, was ich sehr lieb fand. Und gerade ist sie wieder allein die Treppe hochgelaufen. Sie bewegt sich vorsichtig hier, aber ich denke, das bekommen wir auch noch hin.

Halb 6, höchste Zeit, für die Fütterung der Dame des Hauses nach Hause zu kommen. Das schwarze Fellknäuel liegt schlafend auf seinem liebsten Ikeakissen. Leise bin ich nicht gerade, aber kein Begrüßungsgemaunze heute.

„Hallo Mo“, rufe ich – keine Reaktion. Ich stelle meine Tasche ab, gucke mir die Dame etwas genauer an, sie atmet – keine Reaktion. Ich ziehe meine Jacke aus, hänge sie an der Garderobe auf, gehe zurück ins Wohnzimmer – keine Reaktion. Die Dame schnarcht. Ich ziehe die Klettverschlüsse meiner Tasche auf, um die Einkäufe rauszunehmen – keine Reaktion. Ich stehe regungslos in der Wohnung, gucke die Katze an, 5..6 Sekunden – „meow!!“ Erst beim Ohrenkraulen wird sie so richtig wach.

In den letzten Tagen habe ich beobachtet, dass sie auf Rufen erst verspätet reagiert. Und sie biegt vor Hindernissen erst sehr spät ab. Als Laie kann ich nicht beurteilen, ob sich ihre Augen trüben. Mit 18 darf sie etwas schusselig sein, aber ich glaube, wir müssen mal zum Check-up.

Während ich mit der fehlenden Stunde und dem derzeitigen Vollmond kämpfe, scheint die Dame des Hauses massiv unter Jetlag zu leiden.

Wenn ich es sonst wage, erst nach 18 Uhr in den heimischen Hallen zu erscheinen, werde ich vorwurfsvoll maunzend empfangen, wann es denn endlich Futter gäbe, die übliche Zeit (halb 6) ist da ja schon lange vorbei. Momentan muss ich sie um 6 Uhr abends laut rufend wecken, denn Frau Katze schläft tief und fest. Ca. 5 Minuten braucht die Gute dann, natürlich mit dem für sie typischen wtf-Blick, bis sie auf „Betriebstemperatur“ ist. Gemaunzt wird dann aber trotzdem, denn das Futter ist nie schnell genug im Napf.

Die Dame des Hauses wird alt.

Das Schöne an diesen Wintertagen sind ja die Piepkies, die täglich mehrmals das für sie aufgestellte und gefüllte Futterhaus anfliegen. Katzen-TV pur.

Der lustigste Geselle der vielen Flattertiere ist eine freche Kohlmeise. Es hat nicht lange gedauert herauszufinden, daß von der Dame des Hauses keine Gefahr droht, selbst wenn sie direkt hinter der Balkontür sitzt. Ein- bis zweimal am Tag kommt diese Meise also angeflogen, setzt sich direkt vor die Tür und putzt ihr Gefieder. Derweil dreht die Dame des Hauses hier drin völlig ab. Sie keckert, maunzt und starrt den Vogel an. Nach ca. fünf Minuten ist es dann vorbei. Und als würde die Meise der Katze nochmal die Zunge rausstrecken wollen, dreht sie den Kopf, schaut die Dame des Hauses an und fliegt dann davon.

Frau Katze ist not amused. Ich dagegen liege mehrmals am Tag flach vor Lachen.

Rituale

Frühmorgens, irgendwo zwischen 4 und 5. Entweder bin ich schon wach, oder ich werde in genau diesem Moment wachgemaunzt. Die Dame des Hauses trottelt von ihrem Schlafplatz im unteren Geschoß zu den Näpfen, nimmt ein Mäulchen voll Trockenfutter (knack, knack) und trinkt einen Schluck Wasser. Alles mit mehr oder weniger laut hörbarem Geschnatter der Dame. Ist der Morgensnack beendet, geht es laut rufend die Treppe rauf. Redet man ihr gut zu, findet sie den Weg recht schnell, ansonsten erfolgt das nächste Protestgeschrei direkt vorm Bett. Langjährige Versuche haben übrigens ergeben, daß das Türenschließen zwecklos ist, wenn der Mensch sich im angrenzenden Raum befindet. Man wird vom stundenlangen Pfotenschubbern an der Tür entweder irgendwann wach oder gibt gleich entnervt auf.

Mit einem letzten Maunzer pirscht sie sich auf den Platz rechts von mir, natürlich auf der Bettdecke. Wehe, es gibt keinen Zipfel ab. Die Ohren müssen bekrault werden, der Hals, das Schnäuzchen. Wenn ich mich auf den Rücken drehe, begibt sich die Dame des Hauses umgehend auf meinen Oberkörper und streckt sich lang aus. Öhrchen, Schnurrhaare, Kinn, Hals, evtl. ein wenig Bauch zeigen. Dann vorsichtig die Flanken entlang, über die Wirbelsäule (der Hintern reckt sich genießerisch der Hand entgegen), wieder zurück zu den Ohren. Das Schnurren nimmt Formel-1-Lautstärke an. Bis ich irgendwann aufstehen muß.

Jeden Morgen geht das so, mal mehr, mal weniger intensiv. Dieses Ritual ziehen wir geduldig 30-45 Minuten durch. Sie genießt es, ich denke nach, rede mit ihr. Wir kommen gut miteinander aus.

Vierzehn Jahre

Das habe ich gestern ganz vergessen: Vierzehn Jahre ist es her, daß die Dame des Hauses eingezogen ist. Im Januar 1995 lebte ich noch mit meinem damaligen Freund in Flensburg, die getigerte Katze, die ich vorher hatte, war wenige Tage vorher als Zweijährige schwerkrank verstorben.

Seither zieht die Dame des Hauses mit mir durch die Welt. Als mein damaliger Freund und ich uns trennten, wollte er die Dame nicht herausgeben, aber seine Neue brachte wiederum zwei Katzen mit und die vertrugen sich nicht mit der schwarzen Katze. In diesem Frühjahr wird sie 17 Jahre alt, aus dem Teenageralter ist sie längst raus, auch die Dachpartien, die sie vor Jahren in der Nähe von Darmstadt noch unternommen hat (dafür gibts Beweisfotos), hat sie aus Alters- und Vernunftsgründen inzwischen eingestellt. Das heißt aber nicht, daß sie deswegen nicht doch von Zeit zu Zeit mal aufgedreht durch die Wohnung hüppelt.

Mit 17 darf man auch als Dame des Hauses im Winter gemütlich auf der Heizung pennen, wahlweise auf der dicken Matte vor der Balkontür in der Sonne. Ach ja, schmusig ist sie geworden wie verrückt.

Bleibt zu hoffen, daß sie noch eine ganze Weile fit und gesund hier in der Gegend rumliegt oder mich beschmust.